Artikel von Dr. med. vet. Ina Luz, Fachtierärztin für Pferde aus München
Immer häufiger wird bei Pferden das equine metabolische Syndrom (EMS) diagnostiziert. Die Ursachen sind letztlich noch nicht geklärt, jedoch tritt es meist bei langfristig energiereicher Fütterung (leichtverdauliche Kohlehydrate, kraftfutterbetont) in Kombination mit reduzierter körperlicher Aktivität auf.
Pferde sind von Natur aus in der Lage ihre Nahrung hocheffizient aufzuschließen, um Zeiten mit energiearmem Nahrungsangebot zu überstehen. Heute ist es aber üblich, getreidereiche Rationen auch in Zeiten körperlicher Inaktivität zu füttern.
Unter diesen Bedingungen kann es besonders bei Pferden mit entsprechender Disposition zu einer „Insulinresistenz“ kommen.
Erscheinen die Pferde leistungsschwach, tendiert der Besitzer fataler Weise häufig dazu, die Energie im Futter noch zu erhöhen.
Dazu kommt ein Effekt, der das Problem zusätzlich in einen Circulus vitiosus führt:
Hatte man früher gemeint, Fett sei ein reiner Energiespeicher, so weiß man heute, dass Fettgewebe selbst eine Quelle verschiedener Hormone (Adipokine) darstellt.
Diese Hormone spielen wiederum eine Rolle bei der Regulation von Körpermasse und – zusammensetzung. Sie hemmen unter anderem direkt die Insulinaktivität. Starke Fetteinlagerungen fördern weiter die Insulinresistenz.
Symptome
Leistungsverlust kann ein erstes Anzeichen für ein equines metabolisches Syndrom sein.
Die Tiere fallen häufig durch eine rezidivierende Hufrehe ungeklärter Genese auf.
Die Pferde neigen zu Fetteinlagerungen speziell an Kamm, Kruppe und bei männlichen Tieren am Präputium. Eine Adipositas kann, muss aber nicht vorhanden sein.
Polydipsie-Polyurie ist ein häufiges Symptom.
Stuten neigen zu Infertilität oder Zyklusstörungen.
Pathogenese/Pathophysiologie
Wie bereits erwähnt sind die Ursachen des equinen metabolischen Syndroms letztlich noch nicht geklärt. Verschiedene Ansätze werden derzeit erforscht und diskutiert.
Disposition:
Verschiedene Rassen scheinen eine Disposition für die Entwicklung eines metabolischen Syndroms zu haben. Dazu gehören Spanish Mustang, Paso Fino, Peruvian Paso, Morgan Horse. Auch alle „genügsamen“ Rassen, wie z.B. Ponys, scheinen häufiger eine Insulinresistenz zu entwickeln.
Energiereiche Fütterung und Fettgewebe:
Eine hochenergetische Ernährung führt in Kombination mit eingeschränkter Bewegung bei vielen Pferden zur Bildung von Fettspeichern, besonders an Kamm und Kruppe.
Ein Zuwachs an Fettdepots ist begleitet von der Entstehung zahlreicher endokriner Signale (Leptin, Resistin, Adiponektin, Freie Fettsäuren etc).
Die im Fettgewebe von den Adipozyten gebildeten Stoffe bewirken sowohl lokale (parakrine und autokrine) Effekte, als auch endokrine Effekte über die Zirkulation.
Daraus resultiert eine Hemmung der Insulinaktivität und zwar zum einen zentral (Leber) und zum anderen peripher ( Skelettmuskel und Adipozyten).
Omentale Adipozyten enthalten unter anderem das Enzym 11ß-Hydroxysteroid- Dehydrogenase-1 (11ß-HSD-1), das zirkulierendes inaktives Cortison in physiologisch aktives Cortisol umwandelt.
– Cortisolspiegel:
Ein erhöhter Cortisolspiegel wird mit Hufrehe in Verbindung gebracht, da die Erfahrung zeigt, dass durch exogen angewandte Corticosteroide oder bei Hypophysenadenom eine Hufrehe ausgelöst werden kann. Die Anwendung von Corticosteroiden führt jedoch nicht regelmäßig zu der Erkrankung Hufrehe.
Eine befriedigende Erklärung für einen Zusammenhang von erhöhtem 11ß-hydroxysteroid-Dehydrogenase-1, erhöhtem Cortisol und der Entstehung von Hufrehe steht noch aus.
– Insulin und Glucose:
Ein hoher Cortisol-Spiegel (endogen oder exogen zugeführt) fördert über die Gluconeogenese den Blutglucosespiegel und eine Insulinresistenz.
Hyperglycämie führt zu einer Erhöhung des Vasospasmus (über Reduzierung von endothelial gebildetem NO und erhöhter Endothelinexpression). Zusätzlich besteht die Tendenz, dass endotheliale Zellen, die normalerweise eine relativ antikoagulative Oberfläche für Blut haben, in einen relativen pro-koagulativen Zustand transformiert werden.
Diese Einflüsse könnten eine wichtige Rolle bei der Entstehung der häufig zu beobachtenden Hufrehe spielen. Weitere Forschungen in dieser Richtung sind notwendig.
Problem:
Nahezu jede Situation, die mit Stress verbunden ist führt zur Erhöhung der endogenen Cortisolbildung. Eine Reheerkrankung stellt selbst eine solche Stressituation dar. Betroffene Pferde entwickeln Hypercortisolämie, Hyperinsulinämie, Hyperglykämie, Glucoseintoleranz und Bluthochdruck.
Bei der Interpretation von Befunden, die während eines akuten Reheschubs ermittelt werden, ist also Vorsicht geboten!
Differentialdiagnose
Cushing Syndrom und metabolisches Syndrom haben beim Pferd viele ähnliche Symptome und können im frühen Stadium leicht verwechselt werden.
Pferde mit Leistungsschwäche werden auch gelegentlich verdächtigt eine Hypothyreose zu haben.
Eine primäre Hypothyreose kommt beim Pferd äußerst selten vor. Niedrige Schilddrüsenhormonspiegel können aber sekundär bei hypophysären Erkrankungen gesehen werden, wenn zu wenig Tryreoidea-stimmulierendes Hormon (TSH) gebildet wird.
Labordiagnostik
Typisch für ein equines metabolisches Syndrom sind eine Hyperinsulinämie, eine milde bis mäßige Hyperglycämie und meist ein hoher Triglyceridspiegel.
Der ACTH–Spiegel liegt beim metabolischen Syndrom in der Regel im Normbereich, während er beim Cushing erhöht ist.
Zur weiteren Diagnostik kann ein Glucose-Toleranz-Test durchgeführt werden.
Parameter und Präanalytik
Nach Möglichkeit sollte die Blutentnahme morgens nach nächtlicher Nahrungskarenz stattfinden.
Für die Untersuchung werden benötigt:
– EDTA-Plasma tiefgefroren für die ACTH Bestimmung; dazu das EDTA-Blut
möglichst schnell abzentrifugieren, das Plasma in ein unbeschichtetes Röhrchen geben, mit EDTA-Plasma beschriften und einfrieren
– Serum für die Insulin und Triglyceridbestimmung (abzentrifugiert und gekühlt)
– Na-Fl-Blut für die Glucose-Bestimmung.
Eine deutliche Beschriftung der Röhrchen ist notwendig, um eine Verwechslung von Serum und EDTA-Plasma im Labor zu vermeiden.
Um mögliche Sekundäreffekte abzuklären, wird ein Screening Pferd empfohlen.
Weiterführende Diagnostik
Glucose-Toleranz-Test
1. Futterentzug für 12h (0-Wert – Blutglucose)
2. Injektion: 0,5 g/kg KGW Glucose-Lösung i.v.
innerhalb von 5 Minuten
3. Blutentnahme für Blutglucose alle 30 Minuten über 3h (Pferd weiterhin fasten lassen)
Eine deutliche Beschriftung der Probereihenfolge (1-7) ist empfehlenswert.
Interpretation: Wird der 0-Wert für die Blutglucose in 3 h nicht wieder erreicht, spricht dies für eine Glucoseintoleranz.
Therapie
Wenn Tiere fettleibig sind, ist eine Gewichtsreduktion notwendig.
Überhaupt liegt der Schwerpunkt der Therapie in der Durchführung einer geeigneten Diät (Vermeidung von Futter mit hohem glykämischem Index), bei ausreichender Bewegung. Dadurch wird zum einen das Gewicht bzw. die Fettverteilung kontrolliert und zum anderen sollen Insulinrezptoren langfristig wieder sensibilisiert werden.
Abrupte Futterumstellungen sollten jedoch vermieden werden.
Diät
Die Grund-Diät besteht aus einer Fütterung von Heu (möglichst alter Schnitt mit guter Qualität) und gegebenenfalls Zufütterung von unmelassierten Rübenschnitzeln.
Dabei ist es von Vorteil, das Heu vorher zwischen 30 und 60 Minuten zum Auswaschen von Fruktan einzuweichen.
Empfohlen wird zusätzlich die Zufütterung von
3-wertigem Chrom (Chrom soll an den Insulinrezeptor binden und ihn für Insulin sensibilisieren)
Jod
Zimt
Magnesium
Vitamin E (antioxidativ)
Viele Futtermittelhersteller haben bereits spezielle Futtermittel für Pferde mit Equinem metabolischem Syndrom im Programm.
Zu vermeiden sind:
Futter mit hohem glycämischem Index, wie zum Beipiel mit Melasse versetze Kraftfuttermittel,
Futtermittel, die Glucosamine oder Yukkaextrakt enthalten
Karotten, Äpfel
Eine begleitende Medikation mit Aspirin scheint vor dem Hintergrund der Koagulation sinnvoll zu sein.
Bewegung:
Durch Bewegung wird bei kontrollierter Fütterung die Insulinsensitivität gesteigert. Zusätzlich wird eine Gewichtsreduktion gefördert.
Problem: Tiere mit einem Hufreheschub können nicht entsprechend bewegt werden, die Möglichkeit von ausgiebigen Weidegängen ist eingeschränkt, da erkrankte Tiere restriktiv gefüttert werden sollen.
Diskussion zu pharmako-therapeutischen Ansätzen
Schilddrüsenhormone
Bei anderen Tierarten hat sich gezeigt, dass Schilddrüsenhormone zwar die insulinvermittelte Glucoseaufnahme in die Zellen fördern, allerdings erhöhen sie auch die intestinale Glucose-Aufnahme. Weiterer Nachteil: Sie erhöhen die Herzmuskelmasse.
Versuche bei Menschen über eine Schilddrüsenhormongabe eine längerfristige Gewichtsreduktion herbeizuführen verliefen enttäuschend.
Pergolid
Pergolid, ein Dopamin-Agonist an den Rezeptoren D1 und D2, wird üblicherweise zur Therapie des equinen Cushing Syndroms eingesetzt. Die Ursache für das equine Cushing-Syndom ist in der Regel ein Hypophysenadenom, das zu einer dauerhaften Erhöhung der ACTH-Ausschüttung führt. Über Pergolid wird die ACTH Ausschüttung vermindert.
Da beim metabolischen equinen Syndrom keine Störung auf der hypophysären Ebene vorliegt, kommt Pergolid hier als Therapeutikum nicht in Frage.
Außerdem wirkt Pergolid unterdrückend auf die Sekretion von Insulin aus dem Pankreas, was für eine Therapie des equinen metabolischen Syndoms nachteilig wäre.
Trilostan
Bei Trilostan handelt sich es sich um einen 3ß-Hydroxysteroid-Dehydrogenase-Hemmer.
Durch Trilostan wird die Umsetzung von Cortisol in der Nebennierenrinde gehemmt. Bekannt ist Trilostan als Therapeutikum der Cushing-Erkrankung beim Hund.
Auch bei der Behandlung des equinen Cushing Syndroms gibt es positive Berichte über die Therapie mit Trilostan.
Ein Einsatz zur Behandlung des equinen metabolischen Syndroms ist denkbar, aber nicht zwangsläufig logisch, weil unklar ist, in welcher Weise der Cortisolspiegel beim equinen metabolischen Syndrom letztendlich verändert ist. Bei der labormedizinischen Untersuchung liegt der Cortisolspiegel erstaunlicher Weise häufig im Normbereich.
Problem: Bislang gibt es kein zugelassenes Arzneimittel für Pferde, Erfahrungen in der Anwendung von Trilostan beim equinen metabolischen Syndrom sind noch unzureichend.
Antidiabetika
Anders als bei der Katze und dem Menschen, bei denen es mit der Zeit zu einer Erschöpfung der Insulinproduktion kommen kann, scheinen Pferde in der Lage zu sein, unabhängig von der Insulinresistenz eine hohe Insulinabgabe aus dem Pankreas über lange Zeit aufrechterhalten zu können.
Das lässt die Überlegung zu, dass Präparate, die die Insulinsensitivität an den Rezeptoren verbessern von klinischem Interesse sein könnten.
Daher wird der Einsatz von Antidiabetika, wie zum Beispiel Metformin in der Therapie des eqiunen metabolischen Syndroms mit dem Ziel einer Erhöhung der Insulinsensitivität diskutiert.
Problem: Bisher gibt es kaum Erfahrungen zur Anwendung von Metformin beim Pferd. Möglicherweise kommt es bereits in therapeutischen Dosen zu starken Nebenwirkungen beim Pferd.
Fazit
Nach derzeitigem Kenntnisstand stellen eine geeignete Diät in Kombination mit einem entsprechenden Bewegungsmanagement die wichtigsten Therapiemaßnahmen dar.
Dies provoziert die Überlegung, dass es sich hier um eine „Wohlstandskrankheit“ handeln könnte, die präventiv mit überlegter Fütterung und ausreichender Bewegung weitgehend zu vermeiden wäre und uns Tierärzte zu mehr Beratungsleistung zum Thema: Fütterung „in Zeiten des Überflusses“ verpflichtet.
Quellen:
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Mit freundlicher Genehmigung der synlab-vet GmbH.